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Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
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Umweltschutzleitbilder

Umweltschutzleitbilder sind gedachte zukünftige Ordnungen des menschlichen Umgangs mit der Natur, gebildet aus der Verknüpfung menschlicher Bedürfnisse und natürlicher Bedingungen und eingebettet in die gesellschaftliche Ordnung. Sie geben der realen Umweltpolitik einen idealtypischen Orientierungsrahmen vor und bestimmen die Legitimität umweltpolitischer Maßnahmen. Häufig werden Umweltschutzleitbilder vorgeschlagen (wenn auch meist nicht unter dieser Bezeichnung), die als letzte Bestimmungsgründe des Umweltschutzes formuliert sind und sich so einer wissenschaftlichen Kritik entziehen. Leitbilder sind jedoch deduzierte Ordnungen, stehen also auf einem normativ-ethischen Fundament. Daher sind zunächst in Abschnitt 1 ihre Grundlagen aufzuschlüsseln, bevor ausgewählte Umweltschutzleitbilder dargestellt und beurteilt werden können. 1. Grundlagen der Umweltschutzleitbilder Umweltprobleme sind vielschichtig und Erkenntnisobjekt verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, in die Abschnitt 1.1 kurz einführen soll. Aus den Erkenntnissen dieser Basiswissenschaften lassen sich elementare Handlungsprinzipien für den -Umweltschutz ableiten; sie werden in Abschnitt 1.2 vorgestellt. 1.1. Basiswissenschaften des Umweltschutzes Den Ausgangspunkt für die Entwicklung von Handlungsprinzipien des Umweltschutzes bilden Teilgebiete der Philosophie, der Sozial- und der Naturwissenschaften: Ethik, Ökonomik und Ökologie. (1) Ethik in ihrer normativen Form bestimmt Freiheiten und Grenzen verantwortlichen Handelns als moralische Rechte und Pflichten. Die Menschenpflicht zum Umweltschutz gründet nach ökozentrischer Ethik in den Eigenrechten der natürlichen Existenzformen. Diese Eigenrechte werden von Vertretern der Ökozentrik entweder empfindenden Tieren (Pathozentrik), lebenden Organismen (Biozentrik) oder generell allen, auch unbelebten Existenzformen zugeschrieben (Physiozentrik). Da jedoch außermenschliche Naturformen nicht Moral-, sondern ausschließlich Naturgesetzen folgen, ist auf sie der Rechtsbegriff nach h. M. nicht anwendbar. Überdies läßt die ökozentrische Ethik ungeklärt, warum allein der Mensch seinen Expansionstrieb hemmen sollte, den er mit allen anderen Lebensformen teilt und in dessen ungeplanter Ausübung er lediglich seinen biologischen Anlagen folgt. Diesbezügliche religiöse Forderungen reichen nicht hin, da sie auf subjektivem Glauben beruhen und nur Gläubige binden, ohne allgemeinverpflichtend zu wirken. Einen Ausweg bietet die verbreitete, auf Kant fußende anthropozentrische Auffassung: Einzig der vernunftbegabte Mensch kann sein Tun überdenken und damit verantworten; er allein untersteht deshalb moralischen Geboten. Diese Sonderstellung macht den Menschen zugleich zum alleinigen Träger von Rechten, dem zweiten Element jeder Moral. Der Mensch ist sich selbst aufgegeben, muß sich in seinem Handeln als freies, vernunftgeleitetes Individuum erweisen. Selbst unverfügbar, darf er zum eigenen Wohl über seine natürliche Umwelt verfügen und ist dabei nur menschlichen Rechten verpflichtet. Diese umfassen neben den Rechten anderer auch den Anspruch seiner menschlichen Empathiefähigkeit, die Respekt fordert für die Natur, aus der er stammt und der er ähnelt. Ein ethisch fundierter, umsichtiger Umgang mit der Natur kann somit aus der Selbstachtung des Menschen abgeleitet werden, der er sich nicht entziehen kann, ohne seinem Menschsein zu widersprechen. Willkürliche Umweltzerstörung ist mit seiner Selbstachtung ebenso unvereinbar wie die Ausbeutung Hilfloser - nicht rechtfähige Subjekte sind dem Menschen nicht preis-, sondern anheim-gegeben. Gegenwärtig hilflos sind auch zukünftige Menschen. Ihren Bedürfnissen müssen nach h. M. die Heutigen angemessen Sorge tragen. Während jedoch die Rechte Gegenwärtiger ausreichend genau bestimmt werden können, sind die Ansprüche Kommender nach Art und Ausmaß unbekannt. Diesbezügliche Pflichten der Heutigen bleiben zwangsläufig unscharf und bedürfen pragmatischer Übereinkunft. (2) Ökonomik untersucht die Herkunft und Verwendung von Gütern. Seit Adam Smith in der anthropozentrischen Ethik verwurzelt, akzeptiert die klassische Ökonomik vernünftige Präferenzen der Individuen als letzte Ziele des Wirtschaftens, d. h. der effizienten Verwendung knapper Güter (Allokation). Güter müssen daher erstens zu Zwecken eingesetzt werden die im urteil der Individuen deren eigenes Wohlergehen fördern; kollektivistische oder despotische Zweckbestimmungen sind illegitim (methodologischer Individualismus). Güter müssen zweitens effizient eingesetzt werden, so daß ihre Verwendung zur höchstmöglichen Erfüllung der unbegrenzten menschlichen Bedürfnisse führt. Diese beiden Postulate gelten auch für die Verwendung von Naturgütern: Naturgüter haben Verbrauchswert als begrenzte Ressourcen für Produktion und Konsum, Naturmedien dienen als Reststoffsenken, Natur ist aber auch und gerade in ihrer Unversehrtheit wertvoll als Grundlage physischer Existenz sowie als Quelle der Regeneration und Inspiration. Ein ökonomisch fundierter, rationaler Umgang mit der Natur beachtet sämtliche Nutzen und Kosten, die den Individuen aus dem Zustand der Natur und dem Einsatz natürlicher Ressourcen jetzt und in Zukunft erwachsen. Umweltbeeinträchtigung ist ökonomisch nicht gerechtfertigt, wenn die dabei entstehenden Schäden die einhergehenden Nutzen übersteigen; Umweltschutz erscheint im Licht der Ökonomik als Bewahrung natürlicher Nutzenpotentiale. Die Voraussetzungen einer effizienten Verwendung knapper Güter können gemäß der neoklassischen Wohlfahrtstheorie allein durch die dezentrale, auf Privateigentum basierende Ordnung der Marktwirtschaft sichergestellt werden. Jedoch erfordern effiziente Marktergebnisse ersetzbare und handelbare Güter von bekanntem Wert: Gerade Umweltgütern fehlen diese Eigenschaften häufig, so daß zu ihrer rationalen Allokation marktergänzende Verfügungsregeln erforderlich sind. (3) Ökologie beschreibt die Beziehungen zwischen biologischen Lebensformen und ihrer Umwelt. Insbesondere identifiziert die Ökosystemforschung trophische (= Nahrungs-) Beziehungen zwischen den Organismen, die von abiotischen Faktoren (Klima, Nährstoffen) und biotischen Faktoren (Arten, Populationen, Biozönosen) abhängen und wechselwirkend zu einer phänotypisch konstanten Organismenstruktur (ökologisches Gleichgewicht) führen. Wichtige Eigenschaften von Ökosystemen sind deren Stabilität (zeitliche Beständigkeit), Elastizität (Beständigkeit gegenüber Umweltänderungen) und Belastbarkeit (Beständigkeit gegenüber anthropogenen Einflüssen). Als Naturwissenschaft im Gegensatz zur Ethik werturteilsfrei, trifft die Ökologie objektive Aussagen allgemein über die Funktionsbedingungen der Natur und speziell über die ökosystemaren Lebensgrundlagen des Menschen (Humanökologie). Indem sie die Wirkungen des Menschen auf die ihn umgebende Umwelt analysiert, liefert die Ökologie Informationen über die Grenzen menschlichen Handelns, deren Übertretung den Fortbestand seines Ökosystems und damit des Menschen selbst gefährdete: Die Berücksichtigung ökologischer Fakten als Restriktionen menschlichen Nutzenstrebens ist Teil der ökonomischen Rationalität und mündet in einen ökologisch fundierten, sachgerechten Umgang mit der Natur. Die Ungewißheit zukünftiger Naturzustände ist jedoch ein zentrales Ergebnis der Ökologie und zugleich Einschränkung ihrer Prognosefähigkeit. Verschärfend tritt hinzu, daß die Vielfalt und Komplexität natürlicher Systeme derzeit noch weitgehend unerforscht ist, so daß sich menschliches Handeln an groben ökologischen Richtwerten orientieren muß. 1.2. Handlungsprinzipien des Umweltschutzes Aus den oben dargestellten Basiswissenschaften des Umweltschutzes lassen sich dessen Handlungsprinzipien Gerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit und Tragfähigkeit gewinnen. Dabei läßt sich nicht aus jeder Wissenschaft genau ein Prinzip ableiten (z. B. Ökologie gg. Tragfähigkeit), sondern jedes Prinzip speist sich aus mehreren Quellen. (1) Gerechtigkeit liegt im vernunftgemäßen Kompromiß zwischen konkurrierenden Ansprüchen Rechtsfähiger. Gerechter Umweltschutz erfüllt die legitimen Ansprüche aller Individuen auf Umweltqualität und - nutzung. Legitim sind nur solche Ansprüche, deren Einlösung anderen Individuen keine unzumutbaren Lasten auferlegt. Das Ausmaß legitimer Ansprüche und Zumutungen ist in der Literatur umstritten; die meisten Autoren stimmen jedoch in gewissen Mindestforderungen überein: Umweltschutz muß die physischen Existenzbedingungen aller heutigen und zukünftigen Menschen sicherstellen durch Erhaltung oder Wiederherstellung des erforderlichen Umweltzustands und Verteilung der entsprechenden Kosten (intra- und intergenerative Bedarfsgerechtigkeit). Darüberhinaus soll er die Entfaltungspotentiale der Menschen geringstmöglich einschränken und ihnen erlauben, den gewünschten Umweltzustand eigenverantwortlich herbeizuführen (Leistungsgerechtigkeit, Subsidiarität). Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit bilden insofern keinen Gegensatz, als Leistungsgerechtigkeit nicht nur das individuelle Recht auf eigene Leistungserträge, sondern auch auf eigene Leistungserstellung einschließt und damit eine leistungsunabhängige minimale Ressourcenausstattung voraussetzt. Für intergenerative Gerechtigkeit gilt damit: Der heutige Naturumgang darf zumindest das Leben kommender Menschen nicht gefährden; nach h. M. soll er zudem garantieren, daß die Wohlstandsgrundlagen von Generation zu Generation nicht abnehmen, so daß jede Menschheitsgeneration hoffen kann, aus eigener Kraft mindestens denselben Wohlstand zu erlangen wie ihre Vorfahren. Am Beispiel des Artenschutzes läßt sich das Handlungsprinzip der Gerechtigkeit veranschaulichen: Ein Großteil des weltweit bedrohten Artenbestandes ist in Entwicklungsländern lokalisiert, deren Einwohner häufig in existentieller Not leben. Diesen Menschen ist nicht zuzumuten, hinreichendem Umweltschutz ihren geringen Wohlstand oder gar ihr Überleben zu opfern - sie können von ihren reicheren Zeitgenossen, v. a. den Industrienationen, entsprechende Hilfen fordern (intragenerative Bedarfsgerechtigkeit) und sind dabei verpflichtet, die empfangenen Mittel sachgemäß einzusetzen und ihre Fähigkeit zur Selbsthilfe zu entwikkeln (Subsidiarität). Solche Unterstützungen sind auch insoweit leistungsgerecht, als der realisierte Umweltschutz nicht nur den Unterstützten, sondern auch den Gebern nützt, was für den globalen Artenschutz angenommen werden kann, der überdies der intergenerativen Gerechtigkeit dient. (2) Wirtschaftlichkeit (Effizienz) bezeichnet das optimale Verhältnis zwischen Nutzen und Kosten jedes Handelns. Wirtschaftlicher Umweltschutz erfordert zunächst eine methodische Ermittlung kommensurabler Werte der gefährdeten Naturfunktionen aus den individuellen Präferenzen auf Basis einer akzeptierten Einkommens- und Vermögensverteilung. Sodann sind die ökologisch angezeigten Maßnahmen zur Sicherung der Naturfunktionen bezüglich ihrer Opportunitätskosten (Aufwendungen, Nutzungsverzichte) zu analysieren und ebenfalls vergleichbar zu bewerten. Für beide Wertgruppen muß zusätzlich der Einfluß sozioökonomischer Rahmenbedingungen identifiziert werden, insb. die Möglichkeit zur dezentralen Abstimmung der Umweltschutz- und - nutzungspräferenzen über Märkte. Die Realisierung der Umweltschutzvorhaben nach Priorität ihrer positiven Nettonutzen ist zweifach effizient: Zum einen werden Ziele angestrebt, die den Wünschen der Individuen bestmöglich entsprechen, zum anderen werden dabei sparsamste Mittel eingesetzt, d. h. die Opfer der Individuen minimiert. Das beschriebene Vorgehen zwingt überdies zur Offenlegung von Umweltschutzmaßnahmen, die nicht unmittelbar dem Vorteilsstreben der Individuen genügen, sondern z. B. aus ethischen Motiven geboten erscheinen, und macht so die Zielfindung im Umweltschutz transparent und nachprüfbar. Die Kostenanalyse alternativer Wege des Umweltschutzes zeigt häufig die Überlegenheit eigentumsbasierter Handlungsanreize für die wirtschaftliche Umsetzung der gesetzten Ziele. Das Beispiel des Artenschutzes beleuchtet Kernprobleme auf dem Weg zu wirtschaftlichem Umweltschutz: Fehlende Märkte, insuffiziente Methoden der statistischen Präferenzermittlung und v. a. mangelhafte Informationen der Individuen lassen verläßliche Aussagen über Wertschätzung der entsprechenden Naturfunktionen bislang nicht zu; Schutzziele müssen derzeit an ethischen und ökologischen Regeln orientiert und demokratisch legitimiert werden. Hingegen ist eine Effizienzauswahl der zieladäquaten Instrumente möglich: So sollen z. B. unter ökologisch gleichwertigen Gebieten solche für den Schutz bedrohter Biozönosen reserviert werden, die mit den geringsten Opportunitätskosten alternativer Verwendung behaftet sind. Durch die Einführung von Lizenzmärkten für Landnutzungsrechte ließen sich Wissen und Vorteilsstreben der Betroffenen für diesen Zweck einsetzen. (3) Tragfähigkeit zeichnet in erster Bedeutung menschliche Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme aus, die ihre heutige Struktur und mehr noch ihre zukünftige Entfaltung an der Belastbarkeit ihrer natürlichen Umsysteme orientieren. Solche Entwicklungen können in absehbarer Zukunft stetig fortgeführt werden und entsprechen somit dem Konzept der Nachhaltigkeit (Sustainable Development, Tragfähigkeit i. e. S.). Zur näheren Bestimmung der globalen Wechselwirkungen zwischen menschlicher Gesellschaft und Natursphäre wurde in der naturwissenschaftlichen Systemtheorie die „zirkuläre Ökonomie“ modelliert, ein Gefüge von Stoff- und Energieströmen, das die Funktionen der Natur für den Menschen nach Art und Ausmaß verdeutlicht. Die zirkuläre Ökonomie zeigt außerdem die Belastungsgrenzen der Natur auf, da sie trotz des Zustroms von Sonnenenergie als abgeschlossenes System anzusehen ist, in welchem nach dem 1. Hauptsatz der Thermodynamik Materie und Energie weder geschaffen noch vernichtet, sondern nur umgewandelt werden können: Die im Wirtschaftssystem eingesetzten Ressourcen sind nicht vermehrbar und belasten als Abfall das ökologische System. Zudem steigt gemäß dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik in einem geschlossenen System die Entropie: Reinheit und damit Verwertbarkeit der Stoff- und Energieformen sinken im Zeitablauf unausweichlich. In dieser Umgebung ist die langfristige Existenz des Menschen nur denkbar, wenn seine Wirtschaftsweise von knappen nicht-erneuerbaren Ressourcen (z. B. fossilen Brennstoffen) entkoppelt werden kann, wenn er erneuerbare Ressourcen (z. B. Fischbestände) nur im Rahmen ihrer Regenerierbarkeit ausbeutet und wenn er seine Abfallerzeugung an der Assimilationskapazität der Umwelt ausrichtet. Tragfähigkeit kann in zweiter Bedeutung als Forderung an den Umweltschutz verstanden werden, die Evolutionsfähigkeit menschlicher Systeme und damit die Selbstbestimmung und -entwicklung der Individuen geringstmöglich zu behindern (Tragfähigkeit i. w. S.). Tragfähiger Umweltschutz ist folglich in beiden Bedeutungen zukunftsbezogen und maximiert nach h. M. die menschlichen Fortschrittsziele unter Beachtung ökosystemarer Existenzbedingungen. Der mitunter vertretenen Auffassung, tragfähiger Umweltschutz müsse auch den Evolutionsbedingungen der Natur Rechnung tragen, kann entgegengehalten werden, daß natürliche Evolutionszeiträume weit außerhalb des Zeithorizonts der Menschheit liegen. Im Rahmen des Artenschutzes erfordert das Handlungsprinzip der Tragfähigkeit zunächst eine ökologische Analyse der prima facie bedrohten Populationen und Ökosysteme hinsichtlich Stabilität, Belastbarkeit und aktueller Belastung sowie hinsichtlich ihrer humanökologischen Relevanz. Daneben muß ökonomisch der Beitrag der betreffenden natürlichen Ressourcen zum menschlichen Wohlstand bestimmt und zudem untersucht werden, inwiefern die zukünftige Beibehaltung oder Steigerung des Wohlstands vom Verbrauch der Ressourcen entkoppelt werden kann. Dies erfordert u. Umweltschutzleitbilder den Ersatz aktivitätsbezogener Wohlstandsindikatoren (wie die Wachstumsrate des Sozialprodukts) durch umfassendere Maße. Insgesamt werden so Belastungsgrenzen und -erfordernisse natürlicher Populationen und ihrer Ökosysteme ermittelt. Ein darauf basierender tragfähiger Artenschutz sichert den menschlichen Bedarf an Biodiversität und nutzt zugleich die biologisch leistungsfähigsten Schutzstrategien. 2. Ausgestaltete Umweltschutzleitbilder Die beschriebenen Handlungsprinzipien des Umweltschutzes müssen bei der Gestaltung von Umweltschutzleitbildern verknüpft und konkretisiert werden; ihre Beachtung liefert das zentrale Kriterium zur Beurteilung eines Leitbilds. Aus der Vielzahl der vorgeschlagenen Leitbilder besitzen drei Ansätze in ökonomischer Perspektive besondere Relevanz: die traditionelle neoklassische Umweltökonomie (2.1), die um exogene Umweltziele erweiterte Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (2.2) und als jüngstes Konzept die Dauerhaft-Umweltgerechte Entwicklung (2.3). 2.1. Neoklassische Umweltökonomie: Effiziente Umweltnutzung (1) Ausgangspunkt der neoklassischen Umweltökonomie ist die Kernthese der Wohlfahrtstheorie: Unter der Annahme rational-eigennütziger und gutinformierter Individuen mit konsistenten Präferenzordnungen führt der Marktmechanismus prinzipiell zu Pareto-optimalen Allokationen, in denen jedes Individuum nur zu Lasten eines anderen bessergestellt werden könnte; jede ökonomische Tätigkeit wird in einem Ausmaß betrieben, in dem der (sinkende) zusätzliche Nutzen einer Aktivitätsausdehnung gerade deren (steigendern) Opportunitätskostenzuwachs entspricht, so daß der Nettonutzen jeder Tätigkeit maximal wird (Marginalregel). Ein solches Pareto-Optimum ist effizient und kann höchstens aus ethischen Gründen ablehnt werden. Es setzt jedoch substituierbare und marktfähige Güter voraus, von deren Konsum Nichtbefugte ausgeschlossen werden können und deren Erstellung und Verwendung keine marktexternen Effekte auf Dritte hervorruft. In methodischer Hinsicht sind zudem stetige und differenzierbare Nutzen- und Kostenfunktionen vorauszusetzen. Vertreter der neoklassischen Umweltökonomie identifizieren Umweltprobleme in Marktwirtschaften als wohlfahrtsmindernde Ergebnisse ineffizienter Produktions- und Konsumentscheidungen, hervorgerufen durch das Fehlen funktionierender Märkte im Umweltbereich. Viele Naturgüter, z. B. die Funktionen intakter Ökosysteme, werden nicht auf Märkten angeboten, weil von ihrer Existenz alle und nicht nur die zahlungswilligen Wirtschaftssubjekte profitieren können (öffentliche Güter), so daß rationale Individuen keine eigene Zahlungsbereitschaft signalisieren und stattdessen auf eine hinreichende Gesamtnachfrage spekulieren (Trittbrettfahrer-Verhalten). Überwiegt diese Strategie, dann werden die entsprechenden Güter - wenn überhaupt - in zu geringem Ausmaß bereitgestellt, wodurch sämtliche Wirtschaftssubjekte Nachteile erleiden (Gefangenendilemma). Ebenfalls in ein Gefangenendilemma führt die unkontrollierte Ausbeutung frei zugänglicher natürlicher Ressourcen wie z. B. mariner Fischgründe, deren einzelne Nutzer nicht mit den zukünftigen Mehrerträgen eigener Fangzurückhaltung kalkulieren können und die daher den Ressourcenbestand unter Mißachtung künftiger Einbußen gemeinsam übernutzen („Elend der Allmende“). Andere Umweltprobleme, z. B. Luft- und Wasserverschmutzung, entstehen durch Wirtschaftsaktivitäten mit negativen externen Effekten wie z. B. dem Verbrauch von Brennstoffen, deren Marktpreise zwar private Extraktionskosten und Verbrauchsnutzen, nicht aber die gesellschaftlichen Schäden giftiger Emissionen widerspiegeln: Da die Wirtschaftssubjekte nicht sämtliche Kosten ihres eigenen Brennstoffverbrauchs tragen müssen, sind die Preise zu niedrig, das Aktivitätsniveau zu hoch; es resultieren gesellschaftliche Nettoverluste. (2) Das Leitbild einer effizienten Umweltnutzung erfordert staatliche Korrekturen der unregulierten Umweltbeanspruchung mit dem Ziel der Wirtschaftlichkeit aller umweltrelevanten Aktivitäten. Dazu werden ordnungs- und prozeßpolitische Maßnahmen vorgeschlagen, die den Wirtschaftssubjekten Anreize bieten, aus Eigeninteresse umweltschädliches Handeln zu vermeiden. Ordnungspolitisch ist dazu eine Privatisierung öffentlicher Umweltgüter und freier Ressourcen angezeigt, die es deren Eigentümern ermöglicht, Nutzungsentgelte von allen Vorteilsbeziehern einzufordern und Zahlungsunwillige auszuschließen. Nur wenn eine derartige Etablierung des Ausschlußprinzips technisch unmöglich ist (öffentliche Güter i. e. S.), soll der Staat prozeßpolitisch die Bereitstellung dieser öffentlichen Güter nach Art und Ausmaß der vermuteten Präferenzen sicherstellen und durch Zwangseinnahmen finanzieren bzw. den Ressourcenabbau nach Effizienzaspekten regulieren. Dem Auftreten -externer Effekte ist ordnungspolitisch durch die Schaffung eigentumsund vertragsrechtlicher Grundlagen zu begegnen, die es den Verursachern und den Betroffenen externer Effekte ermöglichen, Verhandlungen über die Reduktion der auslösenden Aktivitäten zu führen und entsprechende Kompensationszahlungen zu vereinbaren. Unabhängig davon, ob der Gesetzgeber die Verursacher als entschädigungspflichtig oder die Betroffenen als duldungspflichtig erklärt, wäre so eine Internalisierung der externen Effekte zu erreichen, da deren Verursacher den privaten Kosten ihrer Handlungen entweder Entschädigungsleistungen an die Betroffenen oder aber entgangene Vermeidungskompensationen durch die Betroffenen zurechnen müßten (Coase-Theorem). Nur wenn die Vielzahl der Beteiligten zu prohibitiv hohen Informations- und Verhandlungskosten führt, soll der Staat prozeßpolitisch eingreifen und bei den Verursachern negativer externer Effekte sog. -Pigou-Steuern in Höhe der vermuteten gesellschaftlichen Kosten zu deren Internalisierung erheben, was über steigende Preise der entsprechenden Aktivitäten zu einem niedrigeren und effizienten Aktivitätsniveau führt. Alternativ zu Steuern kann der Staat Lizenzmärkte für Umweltnutzungen einführen, auf denen Anteilsrechte an der effizienten Gesamthöhe einer umweltbelastenden Aktivität gehandelt werden. (3) Gegen diese Vorschläge sprechen zunächst Informationsmängel: Trotz intensiver Forschung sind die Methoden zur quantitativen Ermittlung individueller Präferenzen bislang unbefriedigend. Daneben fehlen häufig die zur Messung von Grenzkosten und -nutzen der Umweltbeanspruchung nötigen naturwissenschaftlichen und technischen Daten, außerdem sind Marktreaktionen auf staatliche Eingriffe nicht genau vorherzusagen. Effiziente Niveaus des staatlichen Güterangebots, der Ressourcennutzung, der Pigou-Steuersätze oder der Lizenzmarktvolumina werden daher bestenfalls in grober Näherung erreicht. Hinzu tritt ein grundsätzlicher Einwand: Das neoklassische Leitbild effizienter Umweltnutzung ist konsequent auf die Erfüllung aktueller Individualpräferenzen nach Maßgabe der Wirtschaftlichkeit ausgelegt; Gerechtigkeit und Tragfähigkeit werden nur verwirklicht, soweit sie die täglichen Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte motivieren. Da aber Gerechtigkeit und Tragfähigkeit selbst als öffentliche Güter interpretiert werden können und zudem weite Bevölkerungskreise nicht über erforderliche Kenntnisse insbesondere der ökologischen Zusammenhänge verfügen, muß die Durchsetzung dieser beiden Handlungsprinzipien bezweifelt werden. Einige Autoren sprechen den Individuen neben einem hinreichenden Informationsstand überdies die Fähigkeit ab, laufende Entscheidungen an prinzipiell akzeptierten Grundwerten auszurichten, wenn deren Befolgung zu unmittelbaren persönlichen Nachteilen führte. Dieselben Individuen stimmten aber in politischen Wahlen entsprechenden Selbstbindungen in Form staatlicher Regelungen durchaus zu und delegierten somit - freiwillig und damit präferenzadäquat - die Überwachung der Grundwerte an ihre politischen Vertreter. Dieser Mangel an Selbstbeherrschung träte speziell bei zukunftsbezogenen Entscheidungen auf: Die Wirtschaftssubjekte seien myopisch; sie würden zukünftige Nutzen und Kosten übermäßig diskontieren, damit die Ansprüche kommender Generationen abwerten und im Ergebnis z. B. sogar monopolisierte natürliche Ressourcen übernutzen. Staatliche Effizienzsicherung erscheint daher insgesamt nicht hinreichend, um alle drei Handlungsprinzipien des Umweltschutzes zu realisieren. 2.2. Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft: Suffizienter Umweltschutz (1) Eingedenk der geschilderten Kritik an der traditionellen Umweltökonomie wurde in den 80er Jahren das Leitbild einer Ökologisch-Sozialen Marktwirtschaft (ÖSMW) entwickelt. Seine Vertreter konstatieren, daß Märkte allein nicht geeignet sind, das ökologische Gleichgewicht sicherzustellen: So, wie nach dem Zweiten Weltkrieg die relativ freie Marktwirtschaft mit den Idealen sozialer Gerechtigkeit zur Sozialen Marktwirtschaft erweitert worden ist, soll nun die Soziale Marktwirtschaft zusätzlich um das Ziel der Wahrung des ökologischen Gleichgewichts zur ÖSMW ergänzt werden. In einer ÖSMW ist die Entscheidung über das Ausmaß der Umweltbeanspruchung der dezentralen Marktallokation entzogen; stattdessen wird im politischen System ein unverzichtbares Mindestniveau an Umweltqualität verbindlich festgelegt (Safe Minimum Standard), aus dem sich die Grenzen zulässiger Umweltbeanspruchung ableiten lassen. Innerhalb dieses ökologischen Rahmens sollen die Umweltnutzungsrechte über freie Märkte und auf diese Weise möglichst effizient alloziiert werden. Damit verbinden sich zwei Vorteile: Zum einen kann die anzustrebende Umweltqualität ex ante und nach bestem ökologisch-technischem Fachwissen festgeschrieben werden; die Suffizienz des Umweltschutzes unterliegt nicht dem Risiko unvorhersagbarer Marktergebnisse. Zum anderen können die Wirtschaftssubjekte unbelastet von ökologischen Überlegungen den verbleibenden Handlungsspielraum gemäß ihren Präferenzen nutzen und dabei - falls sie es wünschen - den vorgegebenen Umweltschutz sogar ausdehnen. (2) Die Eigenschaften der Natur und ihre Wechselwirkungen mit dem Menschen werden innerhalb des Ansatzes der ÖSMW nicht diskutiert; der Zielbegriff des ökologischen Gleichgewichts ist bewußt sehr allgemein gehalten; seine Operationalisierung wird naturwissenschaftlichen Experten anvertraut. Den Ökonomen bleibt als Aufgabe, in den exogenen Grenzen ökonomischer Aktivitäten die Voraussetzungen für funktionierende Märkte zu identifizieren. Die Bestimmung geeigneter Institutionen und politischer Instrumente bildet auch den Schwerpunkt des Ansatzes. Dabei wird die ausgereifte Problemanalyse der traditionellen Neoklassik übernommen; Marktversagen resultiert demnach aus fehlender Ausschlußmöglichkeit, dem Auftreten externer Effekte sowie aus unzulänglichen Informationen der Beteiligten. Die Politikempfehlungen gleichen ebenfalls denen der neoklassischen Ökonomie, jedoch dienen Staatseingriffe primär der Durchsetzung des ökologischen Minimalstandards und erst dann dem Abbau von Marktunvollkommenheiten - die unverzerrte Marktallokation ist nicht das Ziel der Umweltpolitik, sondern ihr Mittel zur effizienten Standarderfüllung. Gemäß diesem Standard-Preis-Ansatz ist der Steuersatz einer Umweltsteuer nicht an den externen Kosten einer ökonomischen Aktivität auszurichten; stattdessen soll er den Preis der Aktivität derart steigern, daß ihr Niveau in die Grenzen des exogenen Standards zurückgedrängt wird. Das Lizenzvolumen eines Marktes für Umweltnutzungsrechte wird in der ÖSMW ebenso nach Maßgabe des Standards bestimmt wie das staatliche Angebot öffentlicher Umweltgüter oder die gesetzlichen Nutzungsregeln natürlicher Ressourcen. Verfechter der ÖSMW betonen gleichwohl deren Effizienzorientierung, denn im Gegensatz zum bislang vorherrschenden hoheitlich-rechtlichen Umweltschutz, der sich weitgehend auf relativ starre Handlungsgebote und -verbote stützt, erlaubt es ihr Ansatz, den als notwenig erachteten Umweltschutz zu geringstmöglichen Kosten anzustreben, da preispolitische und marktschaffende Instrumente die Betroffenen dazu anreizen, im eigenen Interesse umweltschonendere Alternativen zu ihren bisherigen Aktivitäten zu entwickeln, um dadurch ihre privaten Kosten zu senken, ihren Handlungsspielraum auszudehnen und Vorteile gegenüber ihren marktlichen Mitbewerbern zu erlangen. Einige Autoren argumentieren überdies, daß durch Standards begrenzte Märkte transparenter und damit leistungsfähiger seien als unregulierte, da in der Preisbildung nur noch ökonomische und nicht auch ökologische Knappheitsinformationen verarbeitet werden müßten (während dies in der traditionellen neoklassischen Umweltökonomie immer noch nötig wäre). (3) Kritik am Leitbild der ÖSMW entzündet sich zunächst an der Vorgabe der Umweltziele: Der vage Begriff des ökologischen Gleichgewichts suggeriert einen bekannten Idealzustand der Natursysteme. Dies erscheint erstens angesichts des begrenzten Wissensstandes zu optimistisch. Zweitens widerspricht es der ökologischen Erkenntnis, daß sich natürliche Systeme fortwährend und zumeist unvorhersagbar wandeln - sachgerechter wäre es, die Selbstregulationsfähigkeit ökologischer Systeme zu bewahren. Drittens wird der Zusammenhang zwischen Naturfunktionen und menschlichen Bedürfnissen vernachlässigt - anzustreben wäre das zweckmäßigste unter vielen möglichen ökologischen Gleichgewichten. Zur Skepsis gegenüber der Qualifikation der naturwissenschaftlichen Experten und ihrer politischen Auftraggeber, ein den Handlungsprinzipien angemessenes Umweltqualitätsziel formulieren zu können, gesellen sich Zweifel an deren Motivation: Die Neue Politische Ökonomie legt nahe, daß politische Gremien wie alle Wirtschaftssubjekte nicht gesellschaftlichen, sondern eigennützieen Intentionen foleen und darum solche Umweltziele vorschreiben dürften, die ihren Partikularinteressen (speziell dem Erhalt und Ausbau eigener Kompetenzen) am besten dienen. Liberale Kritiker befürchten daher, daß eine ÖSMW durch übermäßige Ausdehnung der Staatstätigkeit ebenso zum „Ökostaat“ führen könnte, wie die Soziale Marktwirtschaft in vielen Ländern zum „Sozialstaat“ ausgeweitet wurde. Analog zum Sozialstaat, dessen Ineffizienz auch seine Gerechtigkeitsziele gefährde, seien im Ökostaat zusätzlich Tragfähigkeitsziele bedroht, vor allem durch reduzierte Freiräume die Entwicklungsfähigkeit der Gesellschaft, aber auch durch inadäquate Ziele die Nachhaltigkeit des Umweltschutzes. Die beschriebene Zielbildungsproblematik könnte entschärft werden, wenn der Ansatz der ÖSMW um eine Analyse geeigneter demokratischer Institutionen erweitert würde. Weitere Kritik erwächst jedoch aus der methodischen Konzentration des Ansatzes auf Umweltprobleme, die - wie Schadstoffemissionen und Ressourcenabbau - Marktlösungen leicht zugänglich erscheinen, weil sie ökonomische Aktivitäten privater Wirtschaftssubjekte betreffen; wie hingegen staatliche Umweltschutzaktivitäten, speziell die Bereitstellung öffentlicher Umweltgüter, zu gestalten seien, um den drei Handlungsprinzipien zu genügen, wird höchstens am Rande behandelt. Im Ergebnis erscheint die ÖSMW zu sehr auf die Realisation von Wirtschaftlichkeit in Residualbereichen bezogen; Gerechtigkeit und Tragfähigkeit sind zwar erwünscht, werden aber innerhalb des Ansatzes nicht bestimmt oder angestrebt, sondern bei Erfüllung des exogenen Standards vorausgesetzt. Dauerhaft-Umweltgerechte Entwicklung: Systemvernetzender Umweltschutz (1) Die Dauerhaft-Umweltgerechte Entwicklung wurzelt in dem Sustainable Development-Gedanken: Als Gegenposition zu ökonomischen Umweltschutzkonzepten wurde seit Beginn der 70er Jahre das Leitbild des -Sustainable Development erarbeitet; es gilt als Antwort der Ökologen auf umweltethische Fragen. Seine Vertreter fordern aus ethischen Gründen die Abkehr vom konventionellen Wachstumsziel der Sozialprodukterhöhung; ein solches vorwiegend quantitatives Wachstum sei stets mit einer Übernutzung natürlicher Ressourcen verbunden, die im Sozialproduktskonzept systematisch unterbewertet würden; überdies sei Wachstum kein geeigneter Maßstab für den Wohlstand einer Gesellschaft. Stattdessen propagieren sie das breitere Ziel der „Entwicklung“ als eines positiven gesellschaftlichen Wandels, der u. a. an Gesundheits-, Ernährungs- und Bildungsindikatoren zu messen sei. Eine heutige Diskontierung zukünftiger Nutzen und Kosten wird moralisch verworfen; zur Wahrung intergenerativer Gerechtigkeit sollen vielmehr die Ausprägungen der Indikatoren im Zeitablauf nicht sinken; die Entwicklung wäre damit nachhaltig. Im Sinne intragenerativer Gerechtigkeit sollen zudem die Indikatorwerte armer und reicher Länder angenähert werden. Mit Hilfe des ökologischen Modells der zirkulären Ökonomie werden die Interdependenzen zwischen dem ökologischen und dem ökonomischen System analysiert und die Bedingungen für Nachhaltigkeit in dem Verlangen gebündelt, den natürlichen Kapitalstock als Quelle der für den Menschen essentiellen Naturfunktionen konstant zu halten. Diesem Zweck entsprechen die sog. Managementregeln: Erneuerbare natürliche Ressourcen dürfen nur bis zur Höhe ihrer Regenerationsrate und natürliche Reststoffsenken nur im Ausmaß ihrer Assimilationskapazität genutzt werden. Der Abbau nicht-erneuerbarer Ressourcen ist nur dann zulässig, wenn kompensierend Sachkapitalinvestitionen getätigt oder -Backstop-Technologien entwickelt werden, die die entsprechenden Naturfunktionen entbehrlich machen. Ökologen bezweifeln jedoch die Substituierbarkeit der meisten Naturfunktionen - im Gegensatz zu vielen Ökonomen. Die ursprünglichen Sustainable Development-Konzepte vernachlässigten weitgehend Binnenstruktur und Funktionsweise des ökonomischen Systems; marktlicher Koordination wurde Skepsis, Effizienzüberlegungen Mißtrauen entgegengebracht. Sie waren daher dem liberalen Vorwurf ausgesetzt, individuelle Freiheit und Präferenzsouveränität abzuwerten, indem primär die ökologischen und sozialen Gefahren ökonomischer Entfaltung beschworen und die soziale Notwendigkeit individueller Verzichte betont wurden. Als Reaktion auf diese Kritik werden seit Beginn der 90er Jahre modifizierte Sustainable Development-Leitbilder entwickelt, die ihr politisches Gewicht der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro verdanken, deren Unterzeichnerstaaten sich grundsätzlich zum Ziel des Sustainable Development bekannten. Für die Bundesrepublik Deutschland stellte 1994 der -Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) sein Leitbild einer Dauerhaft-Umweltgerechten Entwicklung (DUE) vor, das die Grundelemente des Sustainable Development mit den Effizienzüberlegungen liberaler Ökonomik verbindet. (2) Der SRU vertritt eine strikt anthropozentrische Ethik: Oberstes Ziel der DUE ist die Bewahrung der Natur für den Menschen (Personalität) und der Schutz menschlicher Gesundheit vor absehbaren Risiken (Vorsorgegebot). Den Weg dahin ebnet Retinität, d. h. die Vernetzung des ökologischen, des sozialen und des ökonomischen Systems zu einer zirkulären Ökonomie, in der die Handlungsfolgen des Menschen für seine Umwelt transparent und planbar werden. Retinität hat eine ethische Dimension, indem sie die Voraussetzungen verantwortlichen Handelns schafft, und eine ökologische Dimension, indem sie die Funktionsbedingungen der Natur parametrisch in die menschlichen Handlungsentscheidungen einbindet. Die zirkuläre Ökonomie gestattet ökonomische und soziale Entwicklung unter Wahrung der essentiellen Naturfunktionen; Retinität ermöglicht somit Gerechtigkeit und Tragfähigkeit i. e. S. Im Gegensatz zu früheren Sustainable Development-Konzepten erhält die DUE auch eine explizite ökonomische Fundierung: Analog zum ökologischen System, das als Lebensgrundlage des Menschen kritische Belastungsgrenzen aufweist, ist auch die Leistungsfähigkeit des ökonomischen Systems als Wohlstandsgrundlage des Menschen durch die Last staatlicher Regulierungen gefährdet. In der zirkulären Ökonomie sind Innovationsfähigkeit und Flexibilität der Marktwirtschaft ebenso zu erhalten und zu fördern wie Regenerations- und Assimilierungskapazität der Natur; Retinität ermöglicht so auch Wirtschaftlichkeit und Tragfähigkeit i. w. S. (3) Die umweltpolitische Zielbildung verwirklicht den Retinitätsgedanken: In einer systemaren Betrachtung der ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Interdependenzen soll unter Mitwirkung wichtiger gesellschaftlicher Gruppierungen ein transparenter und rationaler Planungsprozeß durchlaufen werden, aus dem im Konsens eine langfristige gesellschaftliche Entwicklungsstrategie abgeleitet wird, etwa nach Art des National Environmental Policy Plan (NEPP) in den Niederlanden. Der SRU erwartet, daß auch bei divergierenden Partikularinteressen die Grundpositionen des Sustainable Development von allen Teilnehmern unterstützt werden dürften. Analog zu dessen Managementregeln lauten dann die Leitlinien der DUE: Die Nutzung einer Ressource darf nicht größer sein als ihre Regenerationsrate oder die Substitutionsrate ihrer Funktionen; Die Freisetzung von Stoffen darf nicht größer sein als die Aufnahmekapazität der Umweltmedien; Gefahren und unvertretbare Risiken für die menschliche Gesundheit durch anthropogene Einwirkungen sind zu vermeiden. Zur Operationalisierung dieser noch recht allgemeinen Leitlinien müssen Umweltqualitäts- und Umwelthandlungsziele bestimmt werden. Die Ökologie liefert dazu die unverzichtbare Wissensbasis, ihr kommt aber keine normative Leitfunktion zu: Eo ipso verbindliche ökologische Ziele existieren nicht; die anzustrebende Beschaffenheit der Natur unterliegt vielmehr menschlichen Wertungen, die ethisch ermittelt werden über die Regeln der Übelabwägung und der Übelminimierung, rechtlich über die Grundsätze der Geeignetheit, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und ökonomisch über die Kosten-Nutzen-Analyse. Informatorische Grundlage der wertenden Zielfindung sind geeignete Indikatoren, d. h. Meßgrößen zur Abbildung des Umweltzustands und seiner Dynamik. In Verbindung mit dem Indikatorsystem könnten dann Umweltstandards als Konkretisierungen der Umweltqualitäts- und -handlungsziele bestimmt und durch Soll-Indikatoren quantifiziert werden, die es erlauben, Standards nicht wie bisher am Stand der Technik, sondern ans bezweckten Schutzgut zu orientieren. Entsprechende Indikatoren liegen bislang weder in hinreichender Anzahl noch in der nötigen Qualität vor und bedürfen daher intensiver Forschung. In der Literatur überwiegt jedoch schon jetzt die Ansicht, daß aufgrund der geringen Substituierbarkeit natürlicher Funktionen auch für ökonomische Entscheidungen ein weitgehend disaggregiertes System physischer Indikatoren zugrundegelegt werden muß, das durch monetäre Indikatoren bestenfalls ergänzt werden kann. (4) Die Umsetzung einer DUE wird ordnungspolitisch über die Definition der Staatsaufgaben und der Eigentumsrechte sowie prozeßpolitisch über Maßnahmen zur Durchsetzung der Umweltstandards angestrebt. In beiden Bereichen muß durch Stärkung der Markteffizienz den Funktionsbedingungen des ökonomischen Systems Rechnung getragen werden. Der SRU empfiehlt, den Umweltschutz zum Staatsziel mit Verfassungsrang zu erheben. Zudem sollen umweltpolitische Maßnahmen nicht durch dieselben strengen Rechts- und Zumutbarkeitsschranken begrenzt werden, die für andere Staatseingriffe von weniger existentieller Bedeutung gelten. Damit aber im Sinne der DUE erforderliche Staatseingriffe nicht zu einem Anschwellen der Staatstätigkeit führen, was mit der Ordnungsform der Marktwirtschaft unvereinbar wäre, ist zur Sicherung von Effizienz und individueller Freiheit der Staat durch Privatisierung sämtlicher marktfähiger Aktivitäten auf seine Kernaufgaben zu beschränken; verbleibende Staatsaktivitäten sollen den marktlichen Wettbewerb geringstmöglich behindern. Außer auf Wettbewerb basiert Markteffizienz auf der Signalfunktion unverzerrter Preise: Unklare private Verfügungsrechte führen zu Externalitäten und Preisverzerrungen, die durch Privatisierungs- und Internalisierungsstrategien (z. B. Haftungsregimes mit befreiender Versicherung) beseitigt werden müssen. Um überdies die Planungssicherheit der Marktakteure zu verbessern und sozialpolitische Verteilungskonflikte mit dem Umweltschutz zu reduzieren, soll die mittelfristige Inanspruchnahme künftigen Produktivitätswachstums für Umweltschutzzwecke ex ante festgelegt werden. Instrumente zur Durchsetzung der Umweltstandards sollen zielgenau und kosteneffizient wirken. Das herkömmliche Ordnungsrecht verfehlt diese Kriterien: Starr, angelehnt an überholte Technik und mit erheblichen Vollzugsdefiziten behaftet, wird sein alleiniger Einsatz für eine DUE nur in solchen Problembereichen befürwortet, die sich strukturell nicht für marktwirtschaftliche Instrumente eignen oder in denen ein gewachsenes Ordnungsrecht zu akzeptablen Ergebnissen geführt hat. Ansonsten sind anreizorientierte Lenkungsinstrumente zur Maximierung individueller Handlungsfreiheit vorzuziehen, z. B. staatliche Förderung ressourcensparenden Fortschritts, erweiterte Privathaftung zur Eindämmung sog. moralischer Wagnisse, Zertifikats- und Abgabenlösungen zur Immissionssenkung. Allerdings sollen ökonomische Instrumente bestehendes Ordnungsrecht nicht vollständig ersetzen, sondern lediglich ergänzen, da es für umweltpolitische Feinsteuerung und akute Gefahrenabwehr unverzichtbar erscheint. Präferiert werden daher Mischinstrumente, die marktliche Effizienz (Effizienz, umweltpolitischer Maßnahmen) und staatliche Kontrolle verknüpfen, speziell Kompensationslösungen (off-set policy) in der Luftreinhalte- und der Flächennutzungspolitik oder Privatbetriebe unter behördlicher Aufsicht in der Gewässerschutzpolitik und der Abfallwirtschaft. Reine Marktlösungen werden nur in bislang nahezu unregulierten Bereichen erwogen, z. B. der internationalen Klimaschutz- und Verkehrspolitik. Verhaltenssteuerung alleine schafft noch keine breite Akzeptanz der Umweltziele, ohne die jede Umweltpolitik langfristig scheitern muß. Elementar für eine DUE ist daher das Angebot eines rationalen, überzeugungsstarken Umweltethos, das dem Individuum die Fortentwicklung seiner moralischen Kompetenz und seines Risikobewußtseins ermöglicht und dadurch zur bewußten Annahme auch gravierender Restriktionen im Sinne der Askese, des freiwilligen und rationalen Verzichts, führen kann. Individuelle Moralität ist auch deshalb unerläßlich, weil staatliche Regelungen angesichts von hohen Transaktionskosten immer unvollständig bleiben müssen: Verbleibende Umwelt- und Gesellschaftsprobleme können allein durch ethisch motiviertes Verhalten der Individuen gelöst werden. (5) Kritik am Konzept der DUE erwächst nicht aus dessen sachlichen Limitationen; die umfassende Behandlung aller Umweltprobleme ist vielmehr ein Kennzeichen des Leitbilds. Nicht wenige Autoren halten stattdessen die Vereinigung konfligierender Einzelinteressen zu einem konkordanten Gesellschaftsziel, das zudem die Gräben zwischen Mensch und Natur einebnet, für eine soziale Utopie, deren Realisierung nicht nur eine verbesserte Informationsbasis, sondern den neuen, besseren Menschen voraussetzt. Sie befürchten daher entweder ein Scheitern des Projekts oder gar die Bereitschaft seiner Verfechter, dem angestrebten Wunschbild demokratische Freiheitsrechte zu opfern. Dem kann entgegnet werden, daß der Erfolg jedes bekannten Umweltschutzleitbilds ökologische Wissenszuwächse bedingt, daß der Ausgleich zwischen Interessenkonflikten den Prüfstein jeder rationalen Politik bildet, daß der gestellte Anspruch an die Moralität der Individuen jene ethischen Anforderungen nicht übersteigt, die bereits für die Konstituierung marktwirtschaftlicher Demokratien unerläßlich sind, und daß zuletzt jede freiheitliche Ordnung der dauernden Gefahr einer diktatorischen Pervertierung gegenübersteht. Die Offenlegung aller Vorbedingungen im Rahmen des Leitbilds einer DUE ist somit keine Schwäche des Ansatzes, sondern grenzt ihn ab von Konzepten, in denen diese Prämissen entweder implizit als gegeben unterstellt werden oder die auf lösbare Teilaspekte des Umweltproblems beschränkt bleiben. Das abschließende Schaubild verdeutlicht die Herleitung und Operationalisierung des Leitbilds der Dauerhaft-Umweltgerechten Entwicklung (nach SRU [1998], S.51; erweitert): Weiterführende Literatur: Cansier, D.: Umweltökonomie, 2.Aufl., Stuttgart 1996; Hampicke, U.: Ökologische Ökonomie. Opladen 1992; Nutzinger, H. G. (Hrsg.): Naturschutz. Ethik. Ökonomie, Marburg 1996; Plachter, H.: Naturschutz, Stuttgart/Jena 1991; Rat von Sachverständigen für Umweltfragen: Umweltgutachten 1994/1998, Stuttgart 1994/1998.



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